Funny Women

Organizer(s)
Nele Sawallisch, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt; Wieland Schwanebeck, Technische Universität Dresden
Location
digital (München)
Country
Germany
From - Until
06.05.2021 - 08.05.2021
Conf. Website
By
Nele Sawallisch, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt; Wieland Schwanebeck, Technische Universität Dresden

Mindestens in der englischsprachigen Welt galten Humor und Comedy lange Zeit als nahezu exklusiv männliche Domäne. Frauen, die an der professionellen Spaßmacherei teilhaben wollten, wurde entweder die Tür gewiesen oder sie wurden kurzerhand aus der Geschichte herausgeschrieben. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts verstiegen sich Kolumnisten u.a. zu der steilen These, das weibliche Geschlecht sei dazu da, geliebt und geherzt zu werden, nicht aber humoristisch um Aufmerksamkeit zu buhlen; eine Einschätzung, die noch in Jerry Lewis‘ bizarrem Urteil widerhallt, die Frau sei eine Gebärmaschine, die dazu da sei, Babys auf die Welt zu bringen, nicht aber um Witze zu reißen. Pseudowissenschaftliche Erklärungen wie Christopher Hitchens‘ berühmt-berüchtigter Gastbeitrag in „Vanity Fair“ (2007) soufflieren dazu das evolutionäre Argument, Männer hätten einen Sinn für Humor entwickeln müssen, um Frauen zu beeindrucken, wohingegen Frauen eines solchen Umwegs nicht bedürften, da sie für den Mann ja von vornherein attraktiv seien. Hitchens‘ Argument dockt an eine reiche Geschichte der abendländischen Philosophie an, die von Aristoteles bis zu Sigmund Freud sowohl den intellektuell doppelbödigen Witz als auch das Privileg des (Ver-)Lachens stillschweigend v.a. den Männern vorbehält.

In der zeitgenössischen Kulturlandschaft liest sich eine solche Diagnose unangemessener denn je, haben doch Frauen nicht nur die Stand-up-Comedyszene erobert, sondern dominieren auch die Gewinnerlisten der großen Fernsehpreise im Comedy-Genre mit erfolgreichen Serien wie „30 Rock“ (2006-2013), „Veep“ (2012-2019) oder „Fleabag“ (2016-2019). Handeln die genannten Serien zwar zumeist von einigermaßen privilegierten, heterosexuellen weißen Frauen, so ist angesichts des Erfolgs von Komikerinnen wie Margaret Cho, Tiffany Haddish oder Flame Monroe mittlerweile ein Diversifizierungsprozess zu konstatieren, der dadurch begünstigt wird, dass zahlreiche männliche Comedy-Ikonen im Zuge der #MeToo-Bewegung im Kreuzfeuer stehen – so wurde 2021 der Komiker Chris D’Elia nach Vorwürfen der sexuellen Belästigung aus dem bereits fertigen Zombiefilm „Army of the Dead“ herausgeschnitten und seine Rolle mit der queeren Komikerin Tig Notaro neu besetzt. Das Feld der Komik befindet sich also inmitten einer historischen Umbruchsphase, in der es mehr Frauen als je zuvor offensteht, unter Rekurs auf „das Gelächter der Medusa“ (Hélène Cixous) bzw. im Geist der von Kathleen Rowe beschworenen „Unruly Woman“ mit aggressivem Gelächter die Grenzen dessen neu auszuhandeln, was als akzeptables weibliches Verhalten gilt.

In diesem Kontext wollte die Tagung, die in Kooperation mit der Bayerischen Amerika-Akademie und der DFG stattfand, das Wirken von Frauen im Comedy-Betrieb der anglophonen Welt analysieren und einer historisierenden Betrachtung unterziehen. Sie trug damit der Tatsache Rechnung, dass Frauen schon immer als Humoristinnen, Stand-up-Komikerinnen und Gag-Autorinnen tätig waren, sich aber auch schon immer gegen verschiedene Formen der Herabsetzung und Ausgrenzung sowie gegen (strukturellen) Sexismus behaupten mussten. Außerdem spiegelte die Tagung die erhöhte Aufmerksamkeit und Nachfrage wider, die Humor und Comedy-Formate in der öffentlichen wie akademischen Wahrnehmung in den letzten Jahren erfahren haben, besonders im Zuge des Streaming-Booms. Dabei stehen Frauen bzw. steht der Humor von Frauen im Zuge struktureller Transformationsprozesse im Comedy-Betrieb immer stärker im Fokus. Da leicht der Eindruck entstehen könnte, Frauen im Comedy-Business ginge es so gut wie nie, erschien es umso wichtiger, einerseits diachrone Entwicklungen und Prozesse der Sichtbarwerdung in unterschiedlichen Medien, andererseits auch die sowohl innerhalb als auch außerhalb des Comedy-Betriebs bestehenden Hürden aufzuzeigen. Für die Organisator:innen stand dabei im Vordergrund, die Geschichte der „funny women“ vor allem aus der anglophonen Welt im interdisziplinären Dialog zu erforschen, nach den feministischen bzw. subversiven Qualitäten weiblichen Humors zu fragen, und zudem das Augenmerk auf besonders wegbereitende und im deutschsprachigen Raum weniger bekannte Komikerinnen zu richten. Um diesem ambitionierten Unterfangen gerecht zu werfen, warfen bereits die einleitenden Vorträge grundsätzliche und systemische Fragen wie jene nach den impliziten heteronormativen Annahmen auf, die einer Diskussion von „funny women“ zugrunde liegen.

Die einzelnen Sektionen der Tagung führten durch diverse Gattungen und Medienformate, zeichneten die Sichtbarwerdung von Komikerinnen im klassischen Fernsehen sowie im Streaming-Zeitalter nach, und widmeten sich zudem den Grenzen des Comedy-Betriebs, etwa dort, wo „funny women“ tradierte Formate progressiv weiterdenken oder eingefahrene Affektstrukturen aufkündigen. Die Tagung befasste sich nicht ausschließlich mit zeitgenössischen Humoristinnen bzw. audiovisuellen Comedy-Formaten; eine eigene Sektion widmete sich dem Feld der Literatur, wobei sich u.a. in den Vorträgen von KERSTIN-ANJA MÜNDERLEIN (Bamberg) und JUDITH RAUSCHER (Köln) satirische Formate und Genreparodien des 18. bzw. 19. Jahrhunderts bereits reich an Anschauungsmaterial hinsichtlich weiblichen Witzes erwiesen.

Eine Sektion zur Comedy-Industrie diskutierte u.a. Aspekte des systemischen gate-keeping, etwa im Feld der Stand-up-Comedy und mit AHNGELI SHIVAMS Fallstudie zum Schaffen von Mandy Kaling, die mittlerweile eine der gefragtesten US-amerikanischen Komikerinnen ist und als Showrunnerin ihrer eigenen Serie („The Mindy Project“, 2012-2017) bzw. als Autorin und Hauptdarstellerin des Films „Late Night“ (2019) auch die Comedy-Industrie selbst zum Ziel ihrer Satire gemacht hat. Die Buchwissenschaftlerin CORINNA NORRICK-RÜHL (Münster) vermittelte indessen einen Eindruck davon, welche Marktmacht Komikerinnen zuzugestehen ist, beispielhaft untersucht am boomenden Genre der „female (celebrity) memoir“, in dem TV-Komikerinnen wie Tina Fey und Amy Poehler zu Trendsetterinnen avanciert sind.

Zwei weitere Sektionen versammelten Fallstudien aus Geschichte und Gegenwart zu einer Galerie von „funny women“ bzw. alternativer, kritischer Gegenbilder. ANKITA DOLAI (Augsburg) und AILEEN BEHRENDT (Potsdam) untersuchten geeks bzw. witty women in Sitcoms wie „Modern Family“ (2009-2020), in denen traditionell männlich konnotierte Rollenstereotype von Frauen besetzt und neu gedacht werden. Während CECILE SANDTEN (Chemnitz) und FRANZISKA RÖBER (Dresden) Klassiker der britischen Sitcom auf ihren strategischen Einsatz von schmerzhaftem cringe-Humor sowie auf die Darstellung älterer Frauen abklopften, nahm AMBER DAY (Smithfield) mit der in diversen Medien und Genres aktiven Komikerin Amy Schumer eine der populärsten, wenn auch umstrittensten „funny women“ der Gegenwart in den Blick – Schumer zelebriert als ein Musterbeispiel transgressiver, ungebändigter Weiblichkeit mit ihrer Neigung zum over-sharing Tabubrüche und provoziert damit in regelmäßigen Abständen reaktionäre Backlashs. KLARA S. SZLEZÁK (Passau) tauchte mit ihrem Vortrag zur erfolgreichen Serie „The Marvelous Mrs. Maisel“ (seit 2017) in die Geschichte des jüdischen Humors ein und diskutierte, wie die Serie mit ihrem historischen Setting einigen Pionierinnen des Comedy-Betriebs ein wortgewaltiges, fiktionalisiertes Denkmal setzt.

Für weitere historisierende Gegenentwürfe sorgten MAGDA MAJEWSKA (Frankfurt am Main) mit ihren Ausführungen zu den schlagfertigen Exzentrikerinnen der Screwball-Komödien der 1930er-Jahre und BAMBI HAGGINS (Irvine) mit ihrem Keynote-Vortrag. Haggins stellte Leben und Wirken von Jackie „Moms“ Mabley vor, die sich als erste schwarze, queere Frau – vielleicht gar als erste weibliche Stand-up-Komikerin – bereits im frühen 20. Jahrhundert eine außergewöhnliche und lange Karriere aufbaute, die sie zum Vorbild vieler nachfolgender afroamerikanischer Künstler:innen werden ließ. Haggins‘ Vortrag lieferte Anknüpfungspunkte für viele andere Sektionen und Beiträge der Konferenz, die sich mit Rollenbildern, inhaltlichen Erwartungen, dem Problem der comedic persona und vor allen Dingen der prominenten Thematik der Diversität im Comedy-Betrieb beschäftigten. „Moms“ Mabley war in vielerlei Hinsicht auf und abseits der Bühne eine Ausnahmeerscheinung, etwa durch ihr Geschlecht, ihre Sexualität, ihren Auftritts- und Sprachstil, und schaffte es trotzdem, eine „Marke“ und eine originelle, authentische Persönlichkeit zu kreieren, die sich behaupten konnte und die dennoch bis heute außerhalb der afroamerikanischen Community eher unbekannt ist.

Der zweite Keynote-Vortrag von BECK KREFTING (Saratoga Springs) war der mit ihrem außergewöhnlichen Programm „Nanette“ (2018) bekannt gewordenen, australischen Stand-up-Komödiantin Hannah Gadsby gewidmet. Krefting verortete Gadsbys zunächst auf Kleinbühnen bekannt gewordene, später auch in großen Arenen und auf Netflix dargebotene Show in der Tradition weiblicher self-deprecation, von der sich die Künstlerin gründlich emanzipiert, indem sie ihr Publikum deutlich auf die Kluft zwischen ihrer persönlichen Leidensgeschichte und dem Diktat des locker-verharmlosenden Stand-up-Monologs hinweist.

Derlei transgressive Auseinandersetzungen mit dem rigiden Korsett bestimmter Genres und Erwartungshaltungen bestimmten auch die abschließende Sektion über die Grenzen der komischen Form, in der sich die Vortragenden u.a. mit Komikerinnen befassten, die ihre eigene Geschichte psychischer Erkrankungen sowie ihre individuellen Marginalisierungserfahrungen offensiv in die Darbietung einbringen und damit auch das Publikum beständig aus seiner Komfortzone locken.

An der Online-Tagung nahmen 19 Wissenschaftler:innen aus Deutschland, Ungarn und den USA sowie mehr als 70 zugeschaltete Gäste teil. Geplant ist nicht nur eine Tagungspublikation, sondern mittelfristig auch ein Nachfolgeprojekt mit globaler Perspektive. Im Vordergrund dürfte dabei nicht die essentialisierende Frage stehen, ob es einen genuin weiblichen Humor gibt, sondern eher die Fortsetzung der bereits im Zuge der Tagung als produktiv erlebten Leitlinien und Herangehensweisen: eine weitere Historisierung weiblichen Humorschaffens, mehr Differenzierung nach medienspezifischen Gesichtspunkten, ein Fokus auf die intersektionalen Dimensionen weiblichen Humorschaffens sowie eine Sensibilisierung für die kulturelle Diversität bzw. Spezifität dessen, was als komisch gilt.

Konferenzübersicht:

Heike Paul (Erlangen): Welcome

Nele Sawallisch (Eichstätt-Ingolstadt) / Wieland Schwanebeck (Dresden): Introduction

Panel 1: Funny Women and the Comedy Business

Franziska Quabeck (Münster): “He Borrows Nothing from Fever”. Humour and Comedy and Women

Corinna Norrick-Rühl (Münster): Funny Bestsellers. Positioning Female (Celebrity) Memoirs in the Global Anglophone Book Industry

Keynote I

Beck Krefting (Saratoga Springs): Rage Against the (Funny) Machine. Hannah Gadsby’s Affective Resistance

Panel 2: Literary Strategies

Kerstin-Anja Münderlein (Bamberg): Women Reprimanding Women. The Gothic Parody and Its Social Criticism

Zsofia Ana Tóth (Szeged): Empowerment and Survival in Sandra Cisneros’ Intersectional Humor

Judith Rauscher (Cologne): She Who Laughs Last. Satirical Dystopias by Women and the Ends of Parody

Panel 3: Taking on the System of Comedy

Rahab Njeri (Trier): Queens of Comedy

Ahngeli Shivam (Atlanta/Mainz): “Late Night”. Humor and Social Criticism

Amber Day (Smithfield): Amy Schumer, White Feminism, and Cultural Debate

Panel 4: Developments I – Establishing Counter-Images

Ankita Dolai (Augsburg): Transforming Gee-ky Girls into Relatable Nerds in Current Sitcoms

Cecile Sandten (Chemnitz): “You’ve Never Known How to Have Fun”. Unsettling the Ideal Woman’s Image through Cringe Comedy in Miranda Hart’s “Miranda”

Franziska Röber (Dresden): Frumpy Faces That Could Cause Ya / To Have Temporary Nausea. Older “Funny Girls” And The Small Screen

Keynote II

Bambi Haggins (Irvine): Finding Mr. Moms: The (Re-)Discovery of a Comedy Icon

Panel 5: Developments II – A Gallery of Funny Women

Magda Majewska (Frankfurt am Main): Quick-Witted Eccentrics. The Genre and Genders of the Screwball Comedy

Aileen Behrendt (Potsdam): Witty Women

Klara S. Szlezák (Passau): “The Marvelous Mrs. Maisel”: Jewishness, Stand-up Comedy, and Gender

Panel 6: To the Limits of Comedy and Back

Maria Verena Peters (Hagen): Absolutely Hysterical. Women’s Comedy and Mental Illness

Clara-Franziska Petry (Mainz): Funny Women in Suits. An Intersectional Analysis of US-American Stand-up Comedy

Alix Kraminitz (Washington D.C.): “How Can I Tell Jokes without All These Words?” Recontextualizing Power in Stand-up Comedy Dialogues


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